Die Vorteile der Anonymität

Wenn durch das Internet schlimme Dinge passieren, ist der Schuldige oft schnell gefunden: die Anonymität.

Es scheint nur allzu logisch, dass wir Verbrechen verhindern könnten, wenn jeder einzelne Mensch im Internet identifizierbar wäre. Behörden aus aller Welt plädieren für die Abschaffung von Verschlüsselungstechniken oder für die Beseitigung anonymer Websites. Dabei schützt Anonymität gerade die Opfer von Verbrechen in vielerlei Hinsicht, etwa wenn es um ihre Menschenrechte, die Sicherheit ihrer Bankkonten, um militärische Verteidigung oder um Schutz vor Stalking und häuslicher Gewalt geht.

Digitale Technologie ermöglicht es Konzernen oder Regierungen, uns rund um die Uhr zu überwachen. Das schadet der Gesellschaft und bedroht unsere bürgerlichen Freiheiten. Dadurch, dass wir im Internet kommunizieren, arbeiten und lernen können, ohne dass uns ständig jemand im Auge hat, können tolle Dinge entstehen.

Keine Spuren im Internet zu hinterlassen ist mühsam. Eines der wichtigsten Tools, um anonym zu bleiben und Zensur zu umgehen, ist Tor. Schätzungsweise zwei Millionen Nutzer pro Tag verbergen so den Ursprung und Bestimmungsort ihres Internetverkehrs, während sie mit Menschen aus aller Welt kommunizieren.

Jedoch wird Tor oft verteufelt, vor allem, wenn es um Terrorismus und Verbrechen im Internet geht. Stephanie Ann Whited, die Kommunikationsleiterin des Tor-Projekts, muss somit die Anonymität jeden Tag aufs Neue verteidigen.

F: Welche Fragen, die Journalisten Dir stellen, frustrieren Dich?

Ich finde es frustrierend, wenn Fragen auf dem Missverständnis beruhen, dass Tor der „Inbegriff des Dark Web“ ist.

Die Onion-Dienste von Tor können dazu genutzt werden, Informationen auf äußerst private und geschützte Weise zu veröffentlichen und zu verbreiten – ohne von Suchmaschinen aufgelistet zu werden. Du kannst diese Seiten nicht einfach mit jedem Browser aufrufen. Wenn man das als „Darknet“ bezeichnet und davon ausgeht, dass alles, was anonym veröffentlicht wird, automatisch schlecht ist, tut man dieser missverstandenen, unterschätzten Technologie ein großes Unrecht. Dabei kann sie Leben retten.

Durch Onion-Dienste können Gesundheitsressourcen für und von Frauen in Ländern veröffentlicht und aufgerufen werden, in denen sie verboten sind. Aktivisten müssen, wenn sie sich organisieren, weniger Angst vor Beobachtung haben – was gerade dann wichtig ist, wenn es um Leben und Tod geht. Whistleblower, die über Korruption berichten, können geschützt kommunizieren. Die Leute nutzten Onion-Dienste auch schon, um geschützter zu sein, wenn sie auf beliebte Seiten wie die New York Times, Facebook oder ProPublica zugreifen. All diese Websites haben .onion-Adressen.

F: Was gibt Deiner Arbeit den größten Sinn?

Die Internetfreiheit nimmt auf der ganzen Welt ab. Deshalb ist es mir sehr wichtig, Teil einer Bewegung zu sein, die sich dafür einsetzt, dass die Privatsphäre der Menschen im Internet gewahrt wird. Der Tor-Browser und Onion-Dienste werden von Millionen Menschen auf der ganzen Welt genutzt, die sich Privatsphäre und Schutz für ihre alltägliche Kommunikation wünschen.

Die einen wollen auf diese Weise nur die Menge an Daten begrenzen, die Großkonzerne und Werbetreibende über sie sammeln können. Für andere aber ist Tor ein wichtiges Werkzeug, um sich gegen staatliche Unterdrückung zu wehren.

2018 schoss die Nutzung des Tor-Browsers im Sudan in die Höhe, als die Blockade sozialer Medien zu Protesten führte. Er wird auch aktiv in Uganda genutzt, einem Land, das soziale Medien inzwischen besteuert.

F: Wenn Du von den schlimmen Verbrechen hörst, die sich tatsächlich auf Onion-Websites abspielen (im sogenannten Darknet) – hast Du da nicht manchmal Zweifel, ob Du das Richtige tust?

Es macht mich traurig, zu hören, dass Tor für schwere Verbrechen genutzt wurde. Trotzdem zweifle ich nicht an der Software oder an den guten Dingen, die nur mit Anonymitätswerkzeugen wie Tor überhaupt zustande kommen können. Kriminelle Machenschaften spielen sich auf allen möglichen Websites ab, mit oder ohne Onion-Dienste. Verbrechen geschehen weiterhin, auch wenn man Tor abschafft – oder sogar das ganze Internet.

F: Hat sich die Berichterstattung über Tor mit der Zeit verändert?

Ja, und ich glaube, das liegt daran, dass wir jetzt häufiger und konsequenter kommunizieren und Tor benutzerfreundlicher gestaltet haben. Außerdem verstehen immer mehr Leute, wie sie im Alltag von großen Technologiefirmen ausgenutzt werden. Auch wenn die Datenschutzeinstellungen anderer Browser mit der Zeit umfangreicher geworden sind, können sie mit dem Gesamtangebot des Tor-Browsers nicht mithalten. Die Presse betont das immer häufiger – ohne Vorbehalte.

F: Was für spannende Dinge passieren derzeit in der Welt von Tor?

Tor ist benutzerfreundlicher und schneller denn je. Unsere Software wird von einem weltweiten, dezentralen Netzwerk von über 7.000 Servern unterstützt, die von freiwilligen Helfern instand gehalten werden. Darüber hinaus haben wir dank unserer freiwilligen Tor-Relay-Betreiber inzwischen mehr als 40 Gibibytes pro Sekunde an Bandbreite erreicht.

Darüber hinaus haben wir 2018 unseren ersten offiziellen Browser für Mobilgeräte veröffentlicht: den Tor-Browser für Android. So können wir noch mehr Menschen erreichen, und zwar auch in den Teilen der Welt, die Tor am meisten brauchen.

Wann ist Dir Anonymität wichtig?

  1. Paul

    Wenn mir aufgrund
    - meiner Ansichten und Gesinnung
    - meiner gesundheitlichen Verfassung
    - meiner Vergangenheit
    schwere existentielle Nachteile entstehen könnten.